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Dienstag, 6. April 2021, 18:18

Ein Drehgestell...

Vor längerer Zeit wurde ich durch einen Forumskollegen auf ein außerordentlich reizvolles Waggonbauprojekt aufmerksam gemacht, dem ich einfach nicht widerstehen konnte.
Wichtiger Bestandteil dieses Projekts waren die Drehgestelle, nämlich „geschweißte Pressblech-Drehgestelle der Einheitsbauart mit höckriger Oberkante“ – so die korrekte Bezeichnung.
Sie wurden 1940 von Westwaggon in Köln-Deutz im Hinblick auf möglichst geringen Materialeinsatz entwickelt und von 1941 bis 1945 in einer Gesamtstückzahl von mehr als 35.000 gebaut.
Sie liefen noch bis über die Epoche 4 hinaus. Es gab sie mit 2,0 und 1,8 m Achsstand, die kürzeren speziell für Panzertransport- und Erzwagen sowie Wannentender.

Diese Kurzversion wurde nun für unser Bauprojekt benötigt. Ja, es gibt dieses Drehgestell von Märklin, die es unter unterschiedlichste Modelle schrauben, und auch von Wilgro gab es das,
allerdings in einer Ausführung, die uns nicht recht glücklich machte. In einem Buch fand ich Aufrisse des Drehgestells, und nach längerem Studium fiel der Entschluss: Das machen wir selber.
Da wir beide Wert auf möglichst vorbildgerechten Modellbau legen, waren die Eckpunkte klar – Metallbauweise, echte Blattfederung und funktionale Bremsanlage.

Nun sind Zeichnungen schön und gut, aber Fotos oder gar die Ansicht des Originals noch besser. Bei meiner Bildersuche im Internet stieß ich auf eine Abbildung, die mein höchstes Interesse weckte:
einen auf dem Rücken liegenden Wannentender. Der, samt zugehöriger BR52, befindet sich als künstlerische Installation „La Tortuga“ (von Wolf Vostell) vor dem Theater der Stadt Marl,
einem architektonisch sehr reizvollen 50er-Jahre-Bau.



Also auf passendes Wetter gewartet, Fotoapparat und Treppenleiter eingepackt und bei schönstem Sonnenschein ab ins rund 100 km entfernte Marl. Zum Glück befindet sich hinter der Installation
eine erhöhte Terrasse, von der aus ich eine Menge Bilder der Drehgestell-Unterseiten und von deren Innenleben machen konnte.

Danach begann dann die Konstruktion des Modells. Die vorliegende Technische Zeichnung wurde auf den 1:32er Maßstab skaliert und diente – nach sorgfältigem Abgleich der Abmessungen – als Basis
für die Ätz-Konstruktionszeichnungen. Denn die Ätztechnik ist das Mittel meiner Wahl für den Modellbau. Erstens weil mir das Konstruieren viel Freude macht, zweitens weil ich die erforderlichen
Zeichnungen und Dateien selbst anfertigen kann, und drittens weil ein ausgezeichneter Ätzbetrieb mit modellbahnaffinen Inhabern quasi bei mir um die Ecke ist.

Als Material habe ich mich für Neusilber entschieden. Es ist wesentlich stabiler als Messing, erlaubt daher (ungefähr) maßstäbliche Materialstärken, und eventuelle Lackschäden würden nicht so sehr stören,
da es eine metallisch silberne Grundfarbe hat. Gelötet habe ich mit allem, was mir zur Verfügung steht: Flamme, Kolben und seit jüngstem auch mit einem tollen Widerstands-Lötgerät.
Hätte ich das schon eher gehabt, wären mir manche Lötungen mit Sicherheit besser gelungen. Hie und da habe ich aber auch geklebt, mit 2K- und Sekundenkleber.

Nun zum Bau des Drehgestells. Einen ersten Prototypen hatte ich schonmal vorab gebaut, danach aber die Konstruktion in verschiedenen Punkten verändert; einmal um Fehler auszugleichen,
und zum anderen, um den Zusammenbau etwas zu erleichtern. Die Ätzteile für zwei Drehgestelle umfassen rund zwei DIN A4-Seiten, eine in 0,5 mm, die andere in 0,3 mm Blechstärke.
Pro Drehgestell sind rund 300 Teile zu verarbeiten. Einziges Drehteil daran ist die Drehpfanne.

Die Rahmenwangen entstanden aus 0,5 mm-Blech, um durch Befeilen die typischen gerundeten Außenkanten darstellen zu können.



Das Innenleben wurde aus 0,3 mm-Blech nachgebildet. Den für diese Drehgestelle ebenfalls typischen ausgewölbten Rand der inneren Erleichterungsöffnungen habe ich durch das Auflöten
von 0,5 mm-Ringen versucht wiederzugeben.



Die Federböcke mit ihren Entwässerungsöffnungen werden aus 0,3er Blech gefaltet. Ebenfalls die Aufhängungen für die Bremshebel.



Die Bremshebel mit Bolzen, Scheibe und Sicherungsring mit Splint sowie die Bremsdreiecke.



Da die Bremsklötze unmittelbar am Rad anliegen sollten, kamen keine aus Messing in Frage. Die lieferbaren Kunststoff-Bremsklötze von Märklin passten von den Abmessungen her nicht.
Also habe ich eine bemaßte Technische Zeichnung angelegt und dem 3D-Drucker meines Vertrauens zugeschickt. Er hat dann meine Zeichnung in 3D umgesetzt und die passenden Klötze
in sehr ansprechender Qualität geliefert.

Das Vorbild hat Gleitachslager. Daher soll auch das Modell welche bekommen. Sie stammen von Märklin, weil die eine sehr schöne, filigrane Beschriftung aufweisen, die allerdings nicht
ganz epochengerecht ist. Statt der vorgesehenen Kunststoff-Lagerbuchsen werden sie mit 5x3 mm Messingbuchsen (Rohrabschnitten) ausgebuchst sowie mit einer Manschette aus dem Ätzblech
versehen, damit sie in die Achslagerführungen passen. Auf die Gleitflächen wird noch ein Streifen Polystyrol geklebt, der passend zur Führung beigeschliffen wird.



Im Original wird das Drehgestell über 6-lagige Federpakete abgefedert. Das sollte auch hier so sein, was aber bedeutete, dass jedes Phosphorbronze-Federblatt eine Stärke von 0,5 mm haben musste.
Und das war einfach zu steif. Darum bin ich hergegangen und habe die Federblätter soweit wie möglich geschwächt, d.h. nur die später sichtbaren Teile in voller Materialstärke stehenlassen.
Und siehe da: Es funktioniert tatsächlich, die Federn sind spürbar weicher geworden.



Nachdem alle Einzelteile schwarz lackiert wurden, begann die Endmontage. Die war etwas fummeliger als gedacht, da die schwarze Farbe feine Bohrungen und Konturen nahezu unsichtbar macht,
was das Positionieren etlicher Teile doch stark erschwerte.

In dieser Phase, wenn Achsen und Räder montiert werden – es sind etwas ältere Nolte-Pur-Radsätze aus meinem Fundus –, treten auch Fehler auf, die vorher unbemerkt blieben. So musste ich z.B.
die Verbindung von vorderer zu hinterer Bremsmechanik neu anfertigen, da durch zuviel Vorspannung die Achsen nicht frei drehen konnten.



Beim Bau eines solchen Modells lernt man viel. Vor allem, wie man es noch besser und richtiger hätte machen können. So wird für die nächste „Auflage“ die Konstruktion geringfügig ergänzt,
hie und da im Ein- bis Mehr-Zehntelbereich nachgearbeitet, und teilweise ist auch eine andere Montagereihenfolge hilfreich. Aber alles in allem bin ich mit dem Ergebnis schon recht zufrieden.



Demnächst werde ich erzählen, wie es mit den Drehgestellen weiterging, bzw. wofür sie überhaupt gebaut wurden.

Bis dahin herzliche Grüße aus Solingen-Ohligs – und bleibt alle gesund und munter!
Thomas

2

Dienstag, 6. April 2021, 18:47

DAS ist Modellbau!,Hut ab.
Rüdiger

3

Dienstag, 6. April 2021, 20:01

Hallo Thomas,

da schliesse ich mich gern dem Lob von Rüdiger an, eine hervorragende Umsetzung des Drehgestells. Eine gute Idee ist die mit den dickeren Seitenwangen um die Umbüge durch abrunden darzustellen doch geradezu genial find ich den Trick um die Blattfedern weicher zu machen, das wäre auch was für "große" Hersteller um eine vorbildgetreue Federung für ihre Modelle brauchbar hin zu bekommen.
Gruß aus Lichtenstein (Württ.)

4

Dienstag, 6. April 2021, 21:18

Tolle Leistung!

Meine Güte,
300 Teile? Das nenne ich aber mal ein anspruchsvolles Projekt! Und ich bin sicher, die Teile sehen nur auf den Fotos so „groß“ aus. Das erfordert schon erhebliches Geschick, so etwas zusammenzulöten. Aber toll gemacht! Alle Achtung...
Martin Meiburg
Heimatdirektion
BD Wuppertal


5

Dienstag, 6. April 2021, 21:32

Staun......

In meinem Haushalt befinden sich bestimmt 40 Pressblech Drehgestelle aller möglichen Firmen. Märklin, Wilgro, Kiss und KM1 aber kein Drehgestell dieser Firmen kommt in der Detailierung dieses Drehgestell ran. Du solltest um die Kosten für die Konstruktion zu minimieren über einen Verkauf von Bausätzen oder Fertigmodellen nachdenken.
Mut zur lebensbejahenden Farben.

Grau ist mein Favorit.

In letzter Zeit sogar Chromeoxidgrün und, haltet euch fest.........

Kieselgrau/Orange und Orientrot.

Gruß vom Michael

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Beruf: Jede Menge mit Wasserschutz

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6

Dienstag, 6. April 2021, 22:25

Hallo Thomas,

wirklich fantastisch, was du da auf die Achsen gestellt hast!!!!

Und ich schließe mich dem Michael K. an und würde sofort 2 Fertigdrehgrstelle ordern für meinen Wannentender.

Herzliche Grüße nach Solingen
Andreas

Beiträge: 973

Wohnort: Bernried

Beruf: Schaumstoffexperte für die Automobilindustrie.

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7

Dienstag, 6. April 2021, 23:06

Pressblechdrehgestell

Hallo Thomas,

Kurz gefasst: Modellbau vom feinsten, einfach herrlich!

@Michael Staiger, die Idee mit intern geschwächten Federstreifen ist nicht neu.
Hier gibt es eine Ätzvorlage:

https://www.themt.de/grossbild/wagon/federn-1180mm-000s

Schönen Abend allerseits.

Alain.

8

Mittwoch, 7. April 2021, 08:36

Servus Thomas,
tolle Arbeit und schön dokumentiert, Hut ab, großes Kompliment!
Claudius

Beiträge: 723

Beruf: Konstrukteur, Dozent an der HWK München - Oberbayern

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9

Mittwoch, 7. April 2021, 08:50

Hallo Thomas,

ganz toll gemacht!
Bin gespannt, unter welche Fahrzeug die dann kommen.

Viele Grüße
Michael

10

Mittwoch, 7. April 2021, 11:50

Hallo Thomas,
wie immer bei deinen Projekten kann ich nur sagen: absolut top!!!
Sei gegrüßt aus Borken und bleib gesund
Ralph

11

Mittwoch, 7. April 2021, 12:51

Herzlichen Dank...

... für alle Euren netten Kommentare!

Das tut mal wieder richtig gut in diesen grauen Zeiten und ist ein schöner Lohn für die Mühen und auch Rückschläge beim Bau.
Ich habe hier im Forum schon so viele tolle Sachen, Eigen- und Umbauten gesehen, gerade von Euch(!) – auch das hat mich immer wieder motiviert.
Außerdem ist das ein großer Anreiz, so weiterzumachen.

Wenn jemand wirklich Interesse an solchen Drehgestellen haben sollte (ich könnte sie mir auch gut als Ladegut vorstellen ;-)
darf er mich gern per Mail kontaktieren: der Punkt bachem ätt web Punkt de. Dann werde ich mal überlegen, was man da machen kann.

Herzliche Grüße aus dem verschneiten Solingen-Ohligs!
Thomas

12

Mittwoch, 7. April 2021, 13:10

Moin Thomas,

schöner filigraner Metallmodellbau, da steh ich drauf.
Ein paar Anmerkungen seien gestattet:
Die Kleinteile auf Bild 2-10 machen den Eindruck, dass die Ätzfilme vielleicht nicht wirklich deckungsgleich montiert waren. Oder lasse ich mich da täuschen?
Für die Färbung der Blattfedern empfehle ich dieses Mittel. Das ergibt auf Federbronze eine deckende mattschwarze Oberfläche. Die Rohflächen müssen vor dem Auftrag gut gereinigt werden.
Das Mittel kann auch für die ganze Neusilberkonstruktion verwendet werden. Ich arbeite so, wenn ich kein fabrikneues Erscheinungsbild möchte. Dann habe ich eine gute Basis fürs Altern. Das funktioniert am Besten, wenn man die Möglichkeit zum Strahlen hat.
Ich wünsche Dir viel Erfolg bei der Serienfertigung.

Gruß
Jürgen

13

Mittwoch, 7. April 2021, 18:08

Hallo Jürgen,

besten Dank für Deine Hinweise! So komme ich Schrittchen für Schrittchen zu einem besseren Ergebnis.
Und ja, Du hast Recht, irgendwo in der Ätzplatine gab/gibt es ein klein wenig Verzug.
Auch der Ätzbetrieb hat mich schon darauf hingewiesen, das es bei diesem Format zu ganz kleinen Passerproblemen kommen kann.
Aber die Vergrößerung übertreibt auch etwas – mit dem bloßen Auge sind diese Ungenauigkeiten nicht mehr zu sehen.

Eine Serienfertigung der Drehgestelle wird es eher nicht geben, aber ein paar möchte ich schon noch bauen.

Viele Grüße!
Thomas

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