Vor längerer Zeit wurde ich durch einen Forumskollegen auf ein außerordentlich reizvolles Waggonbauprojekt aufmerksam gemacht, dem ich einfach nicht widerstehen konnte.
Wichtiger Bestandteil dieses Projekts waren die Drehgestelle, nämlich „geschweißte Pressblech-Drehgestelle der Einheitsbauart mit höckriger Oberkante“ – so die korrekte Bezeichnung.
Sie wurden 1940 von Westwaggon in Köln-Deutz im Hinblick auf möglichst geringen Materialeinsatz entwickelt und von 1941 bis 1945 in einer Gesamtstückzahl von mehr als 35.000 gebaut.
Sie liefen noch bis über die Epoche 4 hinaus. Es gab sie mit 2,0 und 1,8 m Achsstand, die kürzeren speziell für Panzertransport- und Erzwagen sowie Wannentender.
Diese Kurzversion wurde nun für unser Bauprojekt benötigt. Ja, es gibt dieses Drehgestell von Märklin, die es unter unterschiedlichste Modelle schrauben, und auch von Wilgro gab es das,
allerdings in einer Ausführung, die uns nicht recht glücklich machte. In einem Buch fand ich Aufrisse des Drehgestells, und nach längerem Studium fiel der Entschluss: Das machen wir selber.
Da wir beide Wert auf möglichst vorbildgerechten Modellbau legen, waren die Eckpunkte klar – Metallbauweise, echte Blattfederung und funktionale Bremsanlage.
Nun sind Zeichnungen schön und gut, aber Fotos oder gar die Ansicht des Originals noch besser. Bei meiner Bildersuche im Internet stieß ich auf eine Abbildung, die mein höchstes Interesse weckte:
einen auf dem Rücken liegenden Wannentender. Der, samt zugehöriger BR52, befindet sich als künstlerische Installation „La Tortuga“ (von Wolf Vostell) vor dem Theater der Stadt Marl,
einem architektonisch sehr reizvollen 50er-Jahre-Bau.
Also auf passendes Wetter gewartet, Fotoapparat und Treppenleiter eingepackt und bei schönstem Sonnenschein ab ins rund 100 km entfernte Marl. Zum Glück befindet sich hinter der Installation
eine erhöhte Terrasse, von der aus ich eine Menge Bilder der Drehgestell-Unterseiten und von deren Innenleben machen konnte.
Danach begann dann die Konstruktion des Modells. Die vorliegende Technische Zeichnung wurde auf den 1:32er Maßstab skaliert und diente – nach sorgfältigem Abgleich der Abmessungen – als Basis
für die Ätz-Konstruktionszeichnungen. Denn die Ätztechnik ist das Mittel meiner Wahl für den Modellbau. Erstens weil mir das Konstruieren viel Freude macht, zweitens weil ich die erforderlichen
Zeichnungen und Dateien selbst anfertigen kann, und drittens weil ein ausgezeichneter Ätzbetrieb mit modellbahnaffinen Inhabern quasi bei mir um die Ecke ist.
Als Material habe ich mich für Neusilber entschieden. Es ist wesentlich stabiler als Messing, erlaubt daher (ungefähr) maßstäbliche Materialstärken, und eventuelle Lackschäden würden nicht so sehr stören,
da es eine metallisch silberne Grundfarbe hat. Gelötet habe ich mit allem, was mir zur Verfügung steht: Flamme, Kolben und seit jüngstem auch mit einem tollen Widerstands-Lötgerät.
Hätte ich das schon eher gehabt, wären mir manche Lötungen mit Sicherheit besser gelungen. Hie und da habe ich aber auch geklebt, mit 2K- und Sekundenkleber.
Nun zum Bau des Drehgestells. Einen ersten Prototypen hatte ich schonmal vorab gebaut, danach aber die Konstruktion in verschiedenen Punkten verändert; einmal um Fehler auszugleichen,
und zum anderen, um den Zusammenbau etwas zu erleichtern. Die Ätzteile für zwei Drehgestelle umfassen rund zwei DIN A4-Seiten, eine in 0,5 mm, die andere in 0,3 mm Blechstärke.
Pro Drehgestell sind rund 300 Teile zu verarbeiten. Einziges Drehteil daran ist die Drehpfanne.
Die Rahmenwangen entstanden aus 0,5 mm-Blech, um durch Befeilen die typischen gerundeten Außenkanten darstellen zu können.
Das Innenleben wurde aus 0,3 mm-Blech nachgebildet. Den für diese Drehgestelle ebenfalls typischen ausgewölbten Rand der inneren Erleichterungsöffnungen habe ich durch das Auflöten
von 0,5 mm-Ringen versucht wiederzugeben.
Die Federböcke mit ihren Entwässerungsöffnungen werden aus 0,3er Blech gefaltet. Ebenfalls die Aufhängungen für die Bremshebel.
Die Bremshebel mit Bolzen, Scheibe und Sicherungsring mit Splint sowie die Bremsdreiecke.
Da die Bremsklötze unmittelbar am Rad anliegen sollten, kamen keine aus Messing in Frage. Die lieferbaren Kunststoff-Bremsklötze von Märklin passten von den Abmessungen her nicht.
Also habe ich eine bemaßte Technische Zeichnung angelegt und dem 3D-Drucker meines Vertrauens zugeschickt. Er hat dann meine Zeichnung in 3D umgesetzt und die passenden Klötze
in sehr ansprechender Qualität geliefert.
Das Vorbild hat Gleitachslager. Daher soll auch das Modell welche bekommen. Sie stammen von Märklin, weil die eine sehr schöne, filigrane Beschriftung aufweisen, die allerdings nicht
ganz epochengerecht ist. Statt der vorgesehenen Kunststoff-Lagerbuchsen werden sie mit 5x3 mm Messingbuchsen (Rohrabschnitten) ausgebuchst sowie mit einer Manschette aus dem Ätzblech
versehen, damit sie in die Achslagerführungen passen. Auf die Gleitflächen wird noch ein Streifen Polystyrol geklebt, der passend zur Führung beigeschliffen wird.
Im Original wird das Drehgestell über 6-lagige Federpakete abgefedert. Das sollte auch hier so sein, was aber bedeutete, dass jedes Phosphorbronze-Federblatt eine Stärke von 0,5 mm haben musste.
Und das war einfach zu steif. Darum bin ich hergegangen und habe die Federblätter soweit wie möglich geschwächt, d.h. nur die später sichtbaren Teile in voller Materialstärke stehenlassen.
Und siehe da: Es funktioniert tatsächlich, die Federn sind spürbar weicher geworden.
Nachdem alle Einzelteile schwarz lackiert wurden, begann die Endmontage. Die war etwas fummeliger als gedacht, da die schwarze Farbe feine Bohrungen und Konturen nahezu unsichtbar macht,
was das Positionieren etlicher Teile doch stark erschwerte.
In dieser Phase, wenn Achsen und Räder montiert werden – es sind etwas ältere Nolte-Pur-Radsätze aus meinem Fundus –, treten auch Fehler auf, die vorher unbemerkt blieben. So musste ich z.B.
die Verbindung von vorderer zu hinterer Bremsmechanik neu anfertigen, da durch zuviel Vorspannung die Achsen nicht frei drehen konnten.
Beim Bau eines solchen Modells lernt man viel. Vor allem, wie man es noch besser und richtiger hätte machen können. So wird für die nächste „Auflage“ die Konstruktion geringfügig ergänzt,
hie und da im Ein- bis Mehr-Zehntelbereich nachgearbeitet, und teilweise ist auch eine andere Montagereihenfolge hilfreich. Aber alles in allem bin ich mit dem Ergebnis schon recht zufrieden.
Demnächst werde ich erzählen, wie es mit den Drehgestellen weiterging, bzw. wofür sie überhaupt gebaut wurden.
Bis dahin herzliche Grüße aus Solingen-Ohligs – und bleibt alle gesund und munter!
Thomas